Taschentücher bereit halten?! Hier Kapitel 10....
~*~ Chapter Ten ~*~
>>Chazz... sag mir, was du mir damals gesagt hast. Bitte.<<, bat Jaden den Schwarzhaarigen. Er saß an der Wand gelehnt, und Chazz‘ Kopf ruhte auf seinem Schoß.
>>Ich kann nicht, ich habe schon viel zu viel gesagt.<<, flüsterte er.
>>Aber du musst.<<
>>Es war damals schon falsch, also ist es heute auch falsch.<<
>>Aber die Dinge können sich ändern.<<
>>Ich weiß.<<
>>Sie haben sich geändert.<<
Beruhigend strich Jaden mit geschlossenen Augen, ganz dem Gefühl nach, Chazz durch seine Haare.
>>Aber nicht zum Guten.<<
>>Erzähl’s mir einfach, dann geht es dir besser, und wir können zusammen was verändern.<<
>>Du weißt, dass wir überhaupt nichts mehr zusammen machen können.<<
>>Meinst du...<<
>>Ja. Das ist wahrscheinlich das letzte Mal, dass wir uns im Freundlichen begegnen.<<
>>Muss das sein?<<
>>Du kennst die Antwort.<<
Jaden öffnete die Augen. Die Decke des Raumes sah genauso aus wie die Wand, wie der Boden. Alles diese dunklen Metallscheiben, mit dem bläulichen Glanz. Der Raum wirkte kalt und abweisend, aber im Moment konnte Jaden sich nichts Passenderes vorstellen.
>>Ich will sie aber nicht kennen.<<
>>Warum können wir nicht noch mal alles vergessen?<<
>>Zum zweiten Mal?<< Jaden lachte.
>>Naja, bei mir wäre es ja erst das erste Mal.<< Chazz lachte auch.
>>Aber wir können alles vergessen...<<
>>Nein, Jaden, die Schuld wird immer bleiben, die Gewissheit und das Gewissen.<<
>>Warum musst du immer Recht haben? Irgendwie ist das deprimierend.<<
>>Ich weiß.<<
>>Wirklich?<<
>>Nein.<<
>>Warum sagst du sowas dann?<<
>>Ähm...<<
Jaden lachte und wuselte Chazz durchs Haar. >>Dein Humor...<<
>>Situationskomik.<<
>>Dann eben deine – Situationskomik - ist göttlich.<<
>>Machst du dich über mich lustig?<<
>>Ja.<<
>>Hört sich so an.<<
>>Ich weiß.<<
>>Das ist mein Spruch.<<
>>Ich weiß.<<
>>Hey!<<
>>Was? Ws stört dich? Ich weiß! Ich weiß? Ich weiß!<<
>>Jaden!!<< Der Ältere setzte sich auf und startete eine Kitzelattacke auf den Jüngeren. Der ergoss sich in Lachen, und beide alberten herum, bis sie außer Atem gerieten. Beide kitzelten sich gegenseitig und genossen den Körperkontakt, die Wärme des anderen an ihrer Haut. Schließlich saß Chazz an der Wand angelehnt und Jaden an ihn angelehnt.
>>Okay...<<, sagte der Ältere langsam.
>>Was?<<
>>Gehen wir mal deine Liste durch... Du bist was losgeworden.<<
Jaden wurde etwas rot um die Nase. Er hatte sich auch schon wieder entschuldigt, dafür dass er so ausgetickt war. Er hatte es zweimal durchlebt, aber trotzdem war beim zweitem Mal erst alles raus gekommen.
>>Dann hast du mir was gesagt, oder?<<
Jaden nickte und wurde noch etwas röter. >>Ja.<<
>>Was kam danach?<<
>>Noch nichts.<<
>>Und was kommt noch?<<
>>Ich... ich muss dir noch was zeigen...<<
>>Und mich noch was fragen?<<
Jaden konnte nur nicken. Er wusste schon, was Chazz jetzt sagen würde.
>>Zeig mir, was du mir zeigen wolltest.<<
Jaden schluckte. >>Hm... Ähm... Also, das ist so...<< Wie sollte er nach allem jetzt noch etwas von dem verwirklichen, was er vor gehabt hatte? Unmöglich!
Chazz sah dem Jüngeren ins Gesicht. >>Ich sagte, zeig es mir. Tu es doch einfach.<< Er legte seine Finger an die Lippen des Braunhaariges. >>Sag nichts.<<
Jaden nickte leicht, richtete die Augen in die dunklen Seen ihm nur wenige Zentimeter entfernt. Sofort entstand eine Art Sog, und ohne es Beschreiben zu können wusste Jaden, was er jetzt wollte. Er wollte Chazz spüren, nah spüren.
Er hob die Hand und strich dem Schwarzhaarigen sanft über die Wange, über die weiche, blasse Haut. Jaden hob den Kopf leicht an, Chazz senkte seinen ein bisschen, ein letzter Blick, das Einverständnis geben, und ihre Lippen berührten sich. Zunächst ganz scheu, dann immer öfter, fordernder. Chazz ließ seine Hand über Jadens Brust wandern, über das dunkle Shirt, und Jaden unterbrach den Kontakt für drei Sekunden, um den Schwarzhaarigen nochmal anzusehen. Was beide in diesem Moment spürten, blieb in ihnen, und nur in ihnen. In ihren Herzen, die in diesem Gefühl wirklich nur für den anderen schlugen. Ihre Lippen vereinten sich wieder, und Chazz fuhr über Jadens Schultern, um ihn von seiner Jacke zu befreien. Er fuhr mit den Fingerspitzen über die Halsbeuge des Kleineren, der etwas zusammen zuckte und den Bund ihrer Lippen löste. >>Das kitzelt.<<, flüsterte Jaden grinsend. >>Sollte es auch.<<, neckte Chazz, und drückte Jaden sanft nach hinten, sodass er auf dem Braunhaarigen lag. Er begann seinen Hals zu küssen, jedes Stück der weichen, leicht gebräunten Haut zu spüren, zu schmecken, zu fühlen. Jaden wisperte ihm etwas ins Ohr, und strich über den Rücken des Größeren. Dieser ließ von dem Hals Jadens ab, und fuhr langsam unter das schwarze Shirt. Er schob es immer weiter hoch, und begann den Bauch von Jaden sanft zu küssen. Jaden kicherte vergnügt. >>Ist ja nicht zum aushalten!<<, lachte er. >>Oh<<, unterbrach Chazz seine Liebkosungen, >>Das wird noch viel schlimmer.<< Beide grinsten sich an, Jaden zog Chazz Kopf an sich heran und küsste ihn wieder. Er strich mit der Zunge über die Lippen des Schwarzhaarigen, schmeckte die leichte Süße an Chazz‘ Haut. Nachdem er noch ein weiteres Mal um Einlass bat, öffnete Chazz leicht die Lippen, und ihre beiden Zungen kosteten von einander, spielten miteinander, und schließlich entbrannte ein sehr spielerischer Kampf, und Jaden fing plötzlich an zu kichern. Chazz unterbrach den Kuss. >>Was hast du?<<
>>Nichts<<, kicherte Jaden und sah den Älteren mit verklärten Augen an. Chazz hatte das Gefühl, als ob Jaden nicht genau wusste, ob er gerade weinte oder lachte. Er wusste es auch nicht. Seine Augen zeichneten etwas wie Angst, sein Lächeln war unbezahlbar und zuckersüß. >>Was ist denn los?<<
>>Gar nichts...<< Jetzt fing Jaden an zu schluchzen. Sofort setzte sich Chazz auf, und ließ dem Kleineren somit Raum, dasselbe zu tun. >>Es ist nichts...<<
>>Du fängst doch nicht an zu weinen, wenn nichts ist?<<, fragte Chazz vorsichtig nach. Er konnte nicht wirklich einschätzen, was mit seinem Gegenüber los war. Jaden legte sein Gesicht in die Hände und atmete tief durch.
>>Vor ein paar Monaten hätte ich schwören können, ich wäre nicht schwul... und jetzt mache ich mit einem Jungen rum, der mich obendrein auch noch umbringen soll... dass ist so... ironisch. Unfassbar.<<
Chazz ließ den Kopf sinken. >>Es ist also wegen mir, ja?<<
Jaden nahm die Hände vorm Gesicht weg. >>Nein, es bist nicht du... es ist die Situation, verstehst du?<<
>>Moment mal!<<
>>Was denn?<< Verwundert sah Jaden Chazz an. Dieser sah dem Braunhaarigen tief in die Augen. >>Was hast du eben gesagt?<<
>>Ähm, dass es die Situation ist, und nicht du...?<<
>>Nein, davor, davor.<<
>>Dass... alles so ironisch ist, was hier abläuft...?<<
>>Und noch weiter davor, ganz am Anfang.<<
>>Ich... ähm, ich weiß nicht was du meinst.<<
>>Du hast gesagt: Vor ein paar Monaten hätte ich schwören können, ich wäre nicht schwul.<<
>>Ja und?<< Jaden verstand nicht, warum Chazz‘ dunkle Augen so leuchteten.
>>Vor ein paar Monaten!<<
>>Ja, im Lift...<<
>>Im Lift? Im Lift In den Bergen? In dem Urlaub?<<
>>Ja, genau. Warum?<<
>>Hallo?! Du erinnerst dich an Sachen, die ich dir nicht erzählt hab!<<
Jaden schwieg eine Minute lang. Dann sah er ein wenig verschlossen zu dem Schwarzhaarigen auf. >>Kann sein.<<
>>Kann nicht nur sein!<<, rief Chazz, >>Es ist so! An was erinnerst du dich noch?<<
Jaden hielt dem erwartungsvollen Blick nicht stand. Er zog seine Beine an und stand letztendlich auf.
>>Jay?<< Fragend sah Chazz zu dem Jungen auf, der sich Richtung Tür weg drehte.
<Es... es war da. Alles. Aber... es ist wieder weg... nur so wenig ist zurück geblieben. Es war alles da!>
Er hob die Hand an die Brust und fühlte sein Herz. Es war am schlagen. Ganz wild. Er musste lächeln. <Die Erinnerungen kommen zurück... da ist immer mehr, woran ich mich erinnere... Schnee, ganz viel weißer Schnee... Schneebälle, Dunkelheit, Gesichter, fröhliche, lachende... Alexis, Syrus... Bastion... Youji... E... Edea...>
Jadens Augen weiteten sich. Als er sich versuchte an Youji zu erinnern, schwebte ihm ein andere Name vor: Edea. Das war doch kein Zufall! Er brachte sie in Kontakt mit Neo... Mit Zane... Er verband sie mit Aneda, oder Ayandra, Geyun - Sara...
>>Das ist...<< Ohne den Satz zu beenden, drehte er sich wieder zu Chazz, der mittlerweile aufgestanden war, und mit besorgter Miene den Braunhaarigen musterte. Ganz ohne Umschweife, ohne große reden fragte Jaden direkt auf den Punkt heraus: >>Kann ich dir vertrauen?<<
Irritiert sah Chazz Jaden an. >>Was?<<
>>Sag mir einfach, kann ich dir vertrauen?<<
>>Äh, ja, vielleicht, also ich meine...<<
>>Ja oder nein.<<
>>Ja.<<
>>Ich kann dir vertrauen.<<
>>Du kannst mir vertrauen.<<
Jaden lächelte, und drehte sich wieder zu der Eisentür. >>Wo geht’s hier raus?<<
>>Äh, im nächsten Raum gibt es eine Klappe, hinter der ist der Gang der zu dem Hauptgang im Keller der alten Unterkunft hier...ich habe dir doch von ihr erzählt... Aber was willst du denn?<<
Jaden packte den Griff der Tür, und ließ ihn wieder los. Er drehte sich nochmal zu Chazz, und hob seine Jacke auf.
>>Ich muss hier raus.<<
>>Und wohin?<<
Jaden versuchte nochmal, die Klinke runter zudrücken, aber er konnte nicht. Er konnte doch jetzt nicht so gehen. Erst fummelt er mit Chazz rum, dann weint er und dann haut er einfach ab – Unmögliches Benehmen. Im Prinzip dachten beide das gleiche: <Sag bitte noch was...>
>>So kannst du nicht gehen...<<, flüsterte Chazz.
>>Ich weiß doch...<<, gab Jaden genauso leise zurück.
>>Dann tu es nicht.<<
>>Ich...<< Jaden drehte den Kopf nach hinten und lächelte. >>...muss aber.<< Er griff nach der Klinke der Tür. >>Jaden!<<
Jaden riss sich um, rannte zu Chazz, hauchte ihm einen leichten Kuss auf die Lippen, flüsterte ihm etwas ins Ohr, drehte sich wieder um und verschwand durch die Tür, die dumpfe Geräusche machend zufiel.
Chazz fuhr sich leicht über die Lippen. >>Was... soll das denn heißen?<< Verwirrt blieb Chazz in dem Raum zurück.
Jaden nahm unbeirrt den Weg, den Chazz ihm erklärt hatte. Er hätte die anderen ignoriert, aber diese waren gar nicht mehr in dem Raum gewesen. Zane, Sara und Aneda waren verschwunden. Jaden wunderte das nicht. Entweder, sie hatten Langeweile, schließlich wusste er selbst nicht mal, wie lange er mit Chazz alleine gewesen war. Oder es war schon morgens, sie mussten in die Schule. Möglich, hatte sich Jaden gedacht, er hatte kein Zeitgefühl, als er durch den Gang in den dunklen Keller kam. Es war nicht staubig, aber Sand lag auf dem Boden. Jaden ging geduckt weiter, die Decke war sehr niedrig, und er war schon an Stellen vorbei gekommen, die ziemlich bedrohlich aussahen. Er war über Balken geklettert, die quer durch den Gang hingen, er war durch ein Loch geschlüpft, bei dem er sich fragte wie auch nur minimal größere Menschen hier jemals vorbei kommen könnten. Aber schließlich kam er in einen größeren Raum, indem eine Treppe ins Hellere hinauf führte. Vorsichtig, damit er nicht in die Löcher der fehlenden Stufen rein geriet, hangelte er sich an dem Geländer entlang, und schließlich war er in einer großen Halle, mit abgedeckten Möbeln voll gestellt. Alte Bilder an der Wand, ein großes Zeichen über einem abgedeckten Stück, dass wie ein großes Sofa aussah.
>>Hier war ich schon mal.<<, flüsterte Jaden, ging jedoch immer weiter durch den Raum, die danach folgenden Gänge, die beeindruckende Eingangshalle, die in ihren besten Zeiten bestimmt unbeschreiblich ausgesehen haben musste, und dann hinaus, auf den kleinen Vorhof.
Es war gerade am dämmern. Also war es wohl etwa halb Sieben. Jaden versuchte sich grob an die Richtung zu erinnern, aber dann fiel ihm ein, dass er ja schlicht weg entführt worden war. Also war es ganz klar, dass er nicht wissen konnte, wo lang.
>>Och ne... Soll ich jetzt zurück zu Chazz, oder einfach auf gut Glück los? Ich hab doch keine Zeit...<<
>>Jaden?!<<
Der Braunhaarige erschrak fürchterlich.
>>Jaden?! Wo bist du?!<<
>>Wer zum Teufel...<<, flüsterte Jaden. Jetzt hörte er mehrere Stimmen seinen Namen rufen. Und diesmal erkannte er sie. Syrus, Bastion, Alexis – alle riefen nach ihm. Alle waren in der Nähe. >>Klasse. Dafür habe ich auch keine Zeit.<<
>>Jaden?! Kannst du mich hören?! Ich bin‘s, Syrus!<<
>>Jaden antworte doch!!<<
>>Och ne, ne und nochmals ne. Die kommen näher. Was mache ich denn jetzt? Ich muss irgendwas machen! Jaden, überleg, überleg!<<
Er sprang von einem Bein aufs Andere. Er musste sich beeilen, es ging um Leben und Tod! Wenn seine Vorahnung, seine Theorie wahr war...
Ohne weiter unnütz Zeit zu verschwenden rannte er in die Richtung, die zwischen den Ausgangspunkten der Stimmen lag. Natürlich war das der Weg, wo die meisten Bäume standen und Büsche waren. Die großen Felsen, und die auf dem Boden am vermodernden Stämme toter Bäume, alles übersprang und umrannte Jaden fast so, als hätte er es jahrelang geübt und nichts anderes getan. Nun, an sowas konnte er sich bis jetzt aber nicht erinnern.
Und dann kam das, was er leidens schon befürchtet hatte – er sah die Akademie zwar jetzt ganz nah, aber...
>>Ich hasse Flüsse... wie soll ich da denn rüber kommen?<<
Ein etwa fünf Meter breiter Fluss zog sich vor ihm durch den Erdboden. Jaden hob eine Augenbraue und sah sich um. >>Lange kann das Teil noch nicht existieren... Aber ne Brücke hat Sheppert natürlich nicht bauen lassen?!<<
Jaden bemerkte gar nicht, dass er sich sogar wieder an den Direktor seiner Schule erinnerte. Alles kam zurück, Minute für Minute mehr.
Jaden rannte ein ganzes Stück an dem Fluss entlang, doch nirgendwo wurde er schmaler und nirgends war eine Brücke in Sicht.
>>Jaden?<<
Wieder erschrak er. Er drehte den Kopf nach hinten, und sah aus dem Augenwinkel her blaue Augen... braunes Haar... >>Oh, hi Alexis!<<, drehte er sich falsch grinsend um. Sie kam auf ihn zu und umarmte ihn erstmal. Natürlich wurde Jaden rot – das war nicht so ganz was er bevorzugte. Sie sah Jaden an, ihr Blick war erleichtert, doch dann schallt sie ihn: >>Wo um Himmels Willen warst du?! Die ganze Schule hat gestern nach dir gesucht!! Stell dir das mal vor! Wir waren alle bis um drei auf den Beinen, dann sind alle wieder weg, um zu schlafen, aber ich und Bastion und Syrus haben weitergesucht! Verdammt, weißt du was wir uns für Sorgen gemacht haben?!<< Ihr standen Tränen in den Augen, und Jaden fühlte sich irgendwie mies. Über fünfhundert Menschen waren stundenlang auf den Beinen gewesen, bis in die Nacht, um nach ihm zu suchen, und er hörte sich zuerst Quatsch an, hatte dann Visionen, und schließlich machte er mit Chazz rum. Und vor ihm stand ein Mädchen, dass ihn liebte, und jetzt weinend in seinen Armen lag. Unwillkürlich kam Jaden ein Gedanke: <Wenn das Chazz jetzt sähe...>
Er lege Alexis die Hände an die Arme und nahm sie leicht von sich weg. >>Tut mir leid. Ehrlich. Kannst du mir einen Gefallen tun?<<
>>Äh, was? Einen Gefallen? Was denn?<< Sie wischte sich die Tränen von ihrem Gesicht und sah Jaden betroffen an, als ob jemand gestorben wäre.
>>Ähm<<, sagte Jaden etwas irritiert, >>Wie komme ich über den Fluss hier rüber?<<
Die Frage war gefährlich. Sofort schweifte Alexis ganze Mimik ab, und ihre Augenbraue begann noch gefährlicher zu zucken. >>Was?!<<, sagte sie quälend lang gezogen.
>>Eine, äh Brücke oder so etwas...<<
>>Eine Brücke?!<<
>>Was hast du denn?<< Er wich ein paar Schritte zurück.
>>Du willst was von mir?!<<
>>Hattest du in den letzten drei Monaten irgendein traumatisches Erlebnis mit Brücken?<<, fragte Jaden leicht belämmert. Wegen einer einfachen Frage war Alexis beinahe am ausrasten!
>>Jaden!! Ich glaub’s einfach nicht!!<<
>>Jaden! Da bist du ja!!<<
Abrupt drehte Jaden sich um. >>Sy, Bastion, ähähähähähä... hi!<< Etwas verwirrt kratzte sich der Braunhaarige am Kopf. Die beiden kamen aus dem Waldrand hin zu ihm.
>>Wo warst du? Ich habe mir Sorgen gemacht!<<, jammerte Syrus und umarmte den gut anderthalb Köpfe Größeren. Bastion grinste: >>Ich habe mir auch Sorgen gemacht!<<
>>Jaden!! Du...<< Alexis gierte wohl förmlich danach, dem Jungen den Hals umzudrehen. >>Wo warst du denn? Sag’s mir, sag’s mir!<< Syrus hatte wohl vor ihn bis zu seinem ersehnten Ende zu nerven. >>Sag’s mir aber auch!<< Und Bastion hatte wohl vor, Syrus Worte nachzuplappern bis er dran glauben musste.
>>Leute, Leute, bitte, ich habe jetzt keine Zeit!!<<, bettelte Jaden. >>Ich muss über den Fluss rüber... wenn mir jemand sagen könnte wie ich... naja...<< Er machte ein paar komische Bewegungen.
>>Was wird das?<<, fragte Syrus. Jaden haute sich dir Hand vors Gesicht. >>Ich muss los!<<, sagte er schnell und verschwand durch die Mitte – nicht in den Fluss, aber zwischen Bastion und den anderen beiden durch.
>>Bis später!<<
>>Jaaaaaaaaden!!<<, schrien ihm alle drei hinterher.
<Nur weg!!>, dachte sich Jaden und sprintete weiter den Fluss entlang.
Erschöpft vom ganzen Rennen kam er schließlich vor dem Zimmer zum stehen, in das er jetzt unbedingt rein musste. Jaden atmete schwer, kein Wunder, nachträglich waren ihm noch Bastion und ein paar von den Schüler begegnet, die ihn in der letzten Nacht wohl gesucht hatten. Und diesmal hatten sie ihn gejagt. Für ein paar jämmerliche Antworten, die Jaden ihnen nicht gegeben hatte – er war halt schneller gewesen.
Der Braunhaarige atmete noch einmal tief durch, und griff nach der Klinke. Seine Fingerspitzen berührten gerade mal das kalte Metallstück, da hörte er etwas von drinnen. Worte - ein Gespräch?
>>Was haben sie vor?<<
>>Du weißt doch, dass du die Medikamente brauchst.<<
>>Aber sie helfen mir nicht. Ich will sie nicht mehr.<<
>>Doch, doch, sie helfen dir, du merkst es nur noch nicht.<<
>>Seit ich sie nehme geht es mir immer schlechter.<<
>>Das stimmt nicht. Deine Krankenakte sagt was ganz anderes.<<
>>Ich glaube der nicht. Ich glaube ihnen nicht.<<
>>Ach komm. Ich bin Arzt, um zu helfen.<<
>>Sie helfen mir aber nicht!<< Das war Edea! Youji... Und sie redete mit dem Mann, den Jaden nicht sehen wollte...
>>Stell dich nicht an. Es ist nur eine Tablette.<<
>>Nein. Ich werde keine weitere Medizin von ihnen mehr annehmen.<<
>>Mach keinen Blödsinn, es wird dir wieder schlechter gehen.<<
>>Nein, es wird mir besser gehen, weil sie mich nicht mehr vergiften werden.<<
Stille. Vor der Tür wie hinter der Tür. Es hatte also doch gestimmt. Youji, Edea, sie wurde vergiftet – von dem Arzt, von wem auch sonst! Es war nicht der achte Söldner, es war der Arzt, der sich als Jadens Vater ausgab. >>Wieso tut er das?<<, flüsterte Jaden, nahm sich zusammen, drückte die Klinke runter – und hielt sie in der Hand. Plötzlich hörte das Mädchen von innen schreien, der Mann sagte unterdrückt etwas, etwas fiel zu Boden und zersprang und klirrte.
Jadens Augen weiteten sich. >>Scheißdreck!<< Er versuchte panisch, die Klinke wieder in ihr Loch einzusetzen, doch der erste Versuch misslang. Der zweite auch. Wenn der Arzt diesmal eine stärkere Dosis genommen hatte, würde Edea draufgehen! Das hatte Ayandra aufgrund ihres Zustandes schon voraus gesagt.
>>Youji!!<<, schrie er laut auf, um wenn nötig Hilfe herbei zurufen und gleichzeitig den Arzt von seinem Vorhaben abzuhalten. Er begann mit der Schulterbreite gegen die Tür zu rammen. Er nahm Anlauf und warf seine ganze Stärke in den Versuch, die Tür aufzubekommen, aber er stieß frontal mit der Tür zusammen und wurde zurück geschlagen, sodass er auf dem Boden landete. >>Yautsch!!<<, fluchte er, und sah auf. Der Arzt saß ihn an. Er stand in der offenen Tür, hinter der es still geworden war, und lehnte sie an. >>Na, mein Sohn?<< Er setzte eine Brille auf, die er aus seiner Kitteltasche zog, und lächelte ihn an. >>Wir werden uns noch sehen, und dann haben wir viel Zeit zum reden. Vielleicht sogar mehr... als dir lieb ist.<< Er setzte seine Schritte Richtung Flur abwärts in Gang und schnell war er in einer Tür verschwunden. Jaden hatte in diesem Moment keinen Nerv ihm Sachen an den Kopf zu schleudern, sich mit ihm anzulegen, er war ja doch zu schwach. Also gerieten seine Gedanken wieder zu >>Youji!<< Er sprang auf und riss die Tür ganz auf, um an das Bett seiner Freundin zu stürmen.
>>Youji!<<, sagte er laut und nahm die Hand des schwarzhaarigen Mädchens in seine.
Die Kissen waren aus dem Bett gefallen, die Decke hing über einem Stuhl am Bett. Die ehemals glatten Haare lagen verwirbelt auf der Matratze, ihr Ursprung war nicht zu sehen. Jaden strich mit der freien Hand die Strähnen aus dem Gesicht der ein Jahr Jüngeren. Sofort griff er nach der Fernbedienung, die an einem Kabel am Bett hing, und drückte auf den roten Knopf.
>>Laundry...?<<, flüsterte das Mädchen plötzlich.
>>Ja, ja, ich bin hier.<<, aufgrund des fragenden Hintergrunds stellte Jaden sicher, dass Edea ihn erkannte.
>>Erinnerst du dich wieder an alles?<< Halb geöffnete Augen sahen grob nach oben, und Jaden gefiel der Zustand der knapp 16-Jährigen gar nicht.
>>Ja, tue ich, ich erinnere mich wieder an alles.<<
>>Er ist es...<<
>>Wer?<<
>>Der Mann, der -<<, sie hustete plötzlich los, >>der sagt dass er dein -<<, der Husten verschlimmerte sich, und Jaden stützte das Mädchen, damit sie nicht an dem Blut erstickte, dass sie spuckte.
>>Der Arzt? Der Typ von eben? Was hat er dir gegeben?<<
>>Er ist es, Laundry, er...<< Wieder spuckte sie Blut, und sie keuchte schlimmer als zuvor. Wieder drückte Jaden mehrmals panisch auf den roten Knopf an der Fernbedienung.
>>Was hat er dir gegeben? Edea, bitte, sag mir was er dir gegeben hat!!<<
>>Pass auf Cell auf... er hat ihn -<<, wieder eine erneute Attacke voller Blut, >>...er soll der nächste sein, er hat ihn verraten... Laundry?<<
>>Cell?!<<
Die Arme von ihr hingen fast wie leblos an ihr dran, sie war ganz heiß, in den letzten Minuten war ihre Temperatur drastisch gestiegen.
>>Ich brauche hier Hilfe!!<<, rief Jaden verzweifelt, >>Hilfe! Hallo?!<<
>>Laundry...?<< Die schwarzen Haaren klebten an ihrem glänzenden Gesicht. Ihre Augen begannen leicht zu flimmern.
>>Edea<<, flüsterte er, >>Nicht aufgeben, gleich kommt jemand! Halt durch, bitte...<<
>>Sag mir... ist was passiert?<<
>>Was passiert?<< Irritiert sah Jaden das Mädchen an, dass erneut Blut spuckte, und zwar mehr als zuvor. >>Was meinst du? Es ist so viel passiert, ich meine...<<
>>Cell...<<
>>Cell? Chazz? Was ist mit ihm passiert ist?<<
>>Mit euch... ist was passiert?<<
>>Mit uns? J-ja... Aber das ist jetzt egal! Was hat der Typ mit dir gemacht? Edea, bitte antworte mir!<<
Sie spuckte noch mehr Blut, einen ganzen Schwall, und das Laken, dass so strahlend weiß gewesen war, färbte sich allmählich komplett blutrot.
>>Liebst du ihn?<<
>>Edea, das gehört nicht hierhin, nicht jetzt, ich bitte dich!<<
>>Erzähl‘s mir... Sag’s mir, liebst du ihn?<<
>>Ich erzähl’s dir wenn’s dir wieder besser geht, also...<<
>>Jaden!<< Ihr Blick war ernst, das Flimmern unterbrach sie einen Moment, ob sie es konnte oder es Zufall war. >>Ich... komme hier nicht mehr lebend raus... sag mir ob du ihn liebst!<<
Warum kam es ihr in diesem Moment so sehr darauf an, was Jaden mit Chazz gehabt hatte? Ob er ihn liebte? Das war doch jetzt ganz egal, sie hat gesagt sie würde sterben, warum dachte sie dann an sowas?!
>>Jaden, bitte...<<, bettelte sie fast und spuckte wieder Blut. Es lief ihr am Kinn herunter, die kleinen Blutadern in den Augen des Mädchens wurden größer, man erkannte sie besser und deutlicher, die Pupillen waren riesig.
>>Ja, ja ich liebe ihn, aber das ist doch egal! Was... was ist denn mit dir?<< Ihm liefen die Tränen in den Augen an. Wieso sah er eine Freundin sterben, an die er sich erst seit wenigen Stunden wieder genau erinnerte?! Die er soviel fragen wollte, mit der er reden wollte, die soviel wusste, was er wissen musste – die das Entscheidende wusste?! Und warum dachte sie zu dem Zeitpunkt ihres Todeskampfes trotzdem nur noch an ihn?! Warum quälte sie ihn so?!? Warum...?
Sie lächelte. Edea, das Mädchen namens Youji Clifford, lächelte zum letzten Mal. In Jadens Armen fiel ihr Kopf zur Seite, Tropfen ihres Blutes fielen schwer auf den Boden, auf das Laken und auf Jadens Jacke. >>Pass... auf ihn auf, er ist... schwach...<< Die letzten Worte galten nur ihm, sie hatte nicht von sich gesprochen, kein Wort... als wäre es für sie selbstverständlich gewesen, dass ihr letzter Hauch von Wörtern ihm galt.
Ein klarer Tropfen einer reinen Träne tropfte auf den Boden und vermischte sich mit dem vergifteten Blut. Jaden schluchzte, seine Schultern bebten, und immernoch drückte er fast apathisch den Knopf auf der Fernbedienung in seiner Hand. Doch er ließ sie fallen und drückte den leblosen Körper an sich. >>NEIN!!<<